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Schloss Leben erleben
Alle zum Erhalt notwendigen Massnahmen
Am 28. Januar 2011 hat die Sektion RAETIA der Domus Antiqua Helvetica zu einer
Fachtagung unter dem Titel «Energie in historischen Wohnbauten» eingeladen. Das am
1. Januar 2011 in Kraft getretene «Energiegesetz des Kantons Graubünden» gab dieser
Tagung zusätzliche Aktualität. Denn leider haben wir es erneut mit einem Gesetz zu tun,
das den Umgang mit geschützten historischen Wohnbauten nicht regelt. Ich wünsche mir
seit langem, dass für schützenswerte Gebäude in jeder Verordnung, jedem Gesetz, jeder
Auflage festgestellt wird: «Alle zum Erhalt notwendigen Massnahmen haben Vorrang.»
Anhand einiger persönlicher Beispiele zeige ich auf, wie dieser einfache Zusatz den
Behörden und den Eigentümern das Miteinander erheblich erleichtern könnte.
Eine kurze Geschichte zu Schloss Salenegg
Schloss Salenegg bei Maienfeld hat seinen Gang durch die Geschichte unter einem
andern Namen angetreten. Es hiess damals Prestenegg. Der Bau von Prestenegg wurde
um das Jahr 950 durch den Prior des Klosters Pfäfers in Auftrag gegeben. Vielleicht hat
der freie Blick auf die gegenüber liegende Talseite von Maienfeld, die langen und vollen
Sonnenschein hat und darum viel wärmer ist, die Klosterbrüder den Entschluss fassen
lassen, für diejenigen von ihnen, die «Presten» (Gebrechen, wohl Gicht und
Rheumatismen) hatten, eine kleine Sonnendependance zu besitzen. Eine bis zur
Aufhebung des Stiftes 1838 formell existierende Dienstbarkeit verpflichtete den Herrn zu
Salenegg, die Mönche von Pfäfers an einem bestimmten Tag im Jahr zehrfrei zu halten.
Dies weist wie auch andere Indizien auf eine enge Verbindung zwischen Salenegg und
dem Pirminskloster hin.
1330 kam Prestenegg dann in den Besitz der Grafen von Vaz, 1399 in denjenigen des
Grafen von Werdenberg, später an die Toggenburger, und 1594 wurde es von Vespasian
von Salis gekauft. Damals ist das Haus in Salenegg umgetauft worden. Seit 1654
befindet sich Schloss Salenegg im Besitz der Familie Gugelberg von Moos, die das Haus
heute noch bewohnt.
Das Weingut Schloss Salenegg, das älteste Weingut Europas, ist auch die Wiege der
Weinkultur in der Bündner Herrschaft. Alle haben über Jahrhunderte ihr Möglichstes zum
Erhalt des Schlosses beigetragen. Die Herausforderungen waren und sind vielfältig
geblieben. Waren es für meine Vorfahren noch sehr oft Kriegswirren, Frost, Schädlinge
und Erbteilungen, sind die Herausforderungen unserer Zeit in erster Linie Fragen der
Wirtschaftlichkeit und der Umgang mit gesetzlichen Vorschriften.
Energie in historischen Wohnbauten
Für uns alle, die in historischen Wohnbauten
aufgewachsen sind, waren grosse Teile der
Ausführungen der geladenen Gäste gelebter
Alltag und damit selbstverständlich. Den Rednern
und anwesenden Behördemitgliedern schien dies
jedoch weniger bewusst zu sein. Hier scheinen
wir noch einen grossen Nachholbedarf zu haben. Denn erst wenn für alle Beamten und
Behördenmitglieder, die mit historischen Wohnbauten zu tun haben, die Ausführungen
wie zum Beispiel die des Bauphysikers genau so selbstverständlich sind, wie für uns
Eigentümer, können wir berechtigte Hoffnung für den Erhalt historischer Wohnbauten
haben. Die Behörden betonen immer wieder gerne, dass die unter Schutzstellung unseres
Eigentums auch zu unserem Schutz erfolge. Wer aber schützt unsere Bauten vor der
Unwissenheit, zeitweise gar Besserwisserei der Behörde?
Dass wir jedoch noch weit davon entfernt sind, zeigen Ihnen nachfolgende Beispiele:
Der Bauphysiker bestätigte uns, dass es beim besten Willen unmöglich ist, in historischen
Bauten den Behaglichkeitsfaktor moderner Wohnbauten zu erreichen. Dieser lautet:
Ø Raumtemperatur – Ø Oberflächentemperatur = +/- 3.5°C. Um eine gewisse
Behaglichkeit auch in historischen Räumen zu erreichen, habe man schon früh auf
verschiedene «Tricks» zurückgegriffen. Da bekannt war, dass mit einer Wandverkleidung
die gefühlte Oberflächentemperatur angehoben werden kann, verfügen so viele
historische Bauten über Wandtäfelungen. Diese Räume werden meist mit einem
Kachelofen beheizt, daher gehörten Täfelung und Kachelofen untrennbar zusammen.
Mich freute das sehr und erinnerte mich an den Besuch des Brandschutzinspektors:
Brandschutz
Der Besuch des Brandschutzinspektors zeigt, dass es auch für Experten nicht einfach ist,
alte Bausubstanz einzuschätzen. Die «Grosse Stube», das Herzstück von Schloss
Salenegg, wird von einem 1637 hier eingebauten Kachelofen der Hafnerei Pfau aus
Winterthur beheizt. Als der Inspektor den Ofen näher anschaut, dreht er sich entsetzt zu
mir um und ruft: «Den beheizen Sie aber hoffentlich nicht mehr!» Nun war es an mir,
erschrocken zu sein: «Doch, jedes Jahr zu Weihnachten, warum?» «Und da ist noch nie
etwas passiert?», fragt er erstaunt zurück. «Nein, Salenegg hat noch nie gebrannt!»,
erwidere ich immer noch erschrocken. «Erstaunlich, das kann nicht sein, sehen Sie, wie
nah die Täfelung am Ofen ist. Diesen Ofen dürfen Sie nicht mehr beheizen!», beschliesst
er.
Nach einer Diskussion einigen wir uns, dass er vor dem definitiven Entscheid mit einer
Wärmebildkamera wieder vorbei kommen werde, er will mir so bald wie möglich einen
Termin geben. Ich bitte ihn, mir rechtzeitig zu sagen, wann er komme, damit ich den
Ofen langsam einheizen könne. Anfang November erhalte ich die Mitteilung, er werde in
zwei Tagen mit der Kamera auf Salenegg eintreffen. «Das geht nicht!», sage ich. Er will
wissen warum nicht, ich müsse ja nur einmal gut einfeuern, das reiche für die Kamera.
«Für die Kamera vielleicht», entgegne ich, «aber sicher nicht für den eisigkalten Ofen und
den völlig ausgekühlten Raum. Wissen Sie, wir beginnen immer drei Wochen vor
Weihnachten mit dem langsamen Einheizen des Ofens. Ofen und Raum müssen sich
langsam an die Temperaturveränderungen gewöhnen, damit sie keinen Schaden
nehmen.»
Wir werden uns «handelseinig» und machen einen Termin im Januar aus. So habe ich
meinem lieben alten Ofen zum ersten Mal bei der Arbeit zusehen können. Die Kacheln
neben der Täfelung werden tatsächlich nicht wärmer als 26°C, in der Mitte im
sogenannten Zug herrschen indes Temperaturen von 300°C, die in den Ofen-Turm
hochfahren, sich dort überschlagen und leider zu einem grossen Teil im Kamin wieder
verschwinden.
Mit einem erstaunten: «Dass die das damals schon wussten!?!» verlässt mich der
Brandinspektor wieder, wir sind beide sehr zufrieden mit dem Resultat. Mir hat sein
Besuch gezeigt, dass der richtige Umgang mit historischem Gut ebenfalls gelernt sein
will. Am Besten anscheinend durch Überlieferung!
Doch zurück zur Tagung: Die Notwendigkeit des Energiesparens war allen Teilnehmern
der Tagung klar. Es herrschte jedoch grosse Unsicherheit, welche Auswirkungen das neue
Energiegesetz in der Praxis haben wird. Das Gesetz schafft Anreize für einige der
vorgeschriebenen Sanierungsmassnahmen. Verschiedene dieser Massnahmen stehen
jedoch im Widerspruch zum Erhaltungsauftrag, der uns im Baugesetz auferlegt wird. Die
offiziellen Sanierungsvorschläge, die für Bauten ab dem Jahr 1964 absolut sinnvoll sind,
können für historische Bauten fatale Folgen haben. Das neue Energiegesetz des Kantons
Graubünden macht aber keinen Unterschied zwischen Neubauten und historischen
Wohnbauten. So wurde uns empfohlen, vorgängig mögliche Folgen genau abzuklären und
einen entsprechend angepassten Sanierungsvorschlag auszuarbeiten. Dafür sei als erstes
eine möglichst genaue Bestandesaufnahme nötig. Der Bauphysiker legte uns nahe mit
einer Nutzungsliste zu beginnen:
1. eine Liste aller Räume.
2. Räume nach ihrem Nutzen einteilen.
3. Da es unmöglich ist, alle Räume ganzjährig zu nutzen, müssen diese wiederum
eingeteilt werden in:
a) Räume, die nur im Sommer genutzt werden sollen
b) Räume, die das ganze Jahr über genutzt werden sollen.
Danach sei eine gründlich Untersuchung der Beschaffenheit der einzelnen zu beheizenden
Räume notwendig. Erst dann könne ein Sanierungsvorschlag erarbeitet werden. Dieser
Vorschlag werde jedoch nie dem gesetzlich Vorgeschriebenen genügen und somit auch
nie subventionsberechtigt sein; auch die Kosten für diese Abklärungen müssen vom
Eigentümer getragen werden. Damit fängt die Geschichte jedoch erst an: Ist einmal ein
solcher Vorschlag ausgearbeitet, ist es in erster Instanz die lokale Baubehörde, die über
das Vorhaben entscheidet. Da im Energiegesetz historische Bauten mit keinem eigenen
Artikel gewürdigt werden, ist es dem Eigentümer zusammen mit den Gemeindebehörden
und schliesslich den kantonalen Behörden überlassen, einen Weg zu finden. In der
grossen Mehrheit verfügen diese Behörden jedoch nicht über die nötigen Erfahrungen,
um ein solches Gesuch abschliessend behandeln zu können. Auch wenn der Eigentümer
die Unterstützung der Denkmalpflege für sein Vorhaben hat, wird oft gezögert, aus
Angst, diese eine Ausnahme könnte Schule machen. Gerne wird vergessen, dass die
Einzigartigkeit einer historischen Wohnbaute diese nicht nur schützenswert, sondern auch
zur Ausnahme macht. Wäre eine Ausnahme bereits im Gesetz verankert, erleichterte dies
den zuständigen Behörden und den Eigentümern den gemeinsamen
Entscheidungsprozess ungemein.
Die Werte Frage
Am Nachmittag an der Podiumsdiskussion wurde die «Werte Frage» gestellt. Zuerst war
mir nicht klar, von welchen Werten hier die Rede sein soll. Nach und nach verstand ich,
dass es sich bei den angesprochenen Werten um solche handelt, die für mich eine
Selbstverständlichkeit darstellen: der Erhaltenswert historischer Bauten.
Für uns Eigentümer stellt sich diese Frage ganz anders: Wie erhalte ich das nötige eigene
Interesse und wie wecke ich es in meinen Nachkommen! Wie eingangs gestreift, die
Wohnqualität ist nicht vergleichbar mit einer modernen Wohnung. Wir treffen bei
Aussenstehenden auf wenig Verständnis für die Eigenart eines historischen Gebäudes und
wenn vorhanden, ist es oft sehr realitätsfremd. Wir sind dazu aufgefordert, täglich eine
Brücke zwischen jung und alt zu schlagen. Es muss uns gelingen, die eigenen
Nachkommen für unsere Stammhäuser zu begeistern. Ich bin der Meinung, nur wenn es
mir gelingt, die Freude am Objekt an meine Kinder weiterzugeben, hat Salenegg eine
Chance auch in der Zukunft zu bestehen. Sollten sie jedoch zum Schluss gelangen, der
Erhalt ist nur Mühsal, Kosten und Ärger, dann hat der Staat erheblich dazu beigetragen!
Wir brauchen Unterstützung, die Unterstützung von gut ausgebildeten Spezialisten, die
uns durch den Vorschriften-Dschungel führen. Spezialisten, die der lokalen Behörde den
Rücken stärken und die Verantwortung abnehmen, die uns helfen, die nötigen Expertisen
und Untersuchungen, die nötigen Belege für eine Ausnahmeregelung zu beschaffen ohne
Kostenfolge für den Eigentümer. Es ist teuer, einen historischen Wohnbau zu bewohnen,
zu unterhalten und mit jedem neuen Gesetz und mit jedem Besuch eines Beamten wird
es noch teurer.
Vorerst sind für mich darum ganz andere Werte, wie Eigenmiet- und Ertragswert, Steuerund
Versicherungswert von grösster Bedeutung. Erst wenn diese Werte für alle
nachvollziehbar sind, können wir uns wirklich auf die kulturellen Werte konzentrieren. Als
Weingut ist Schloss Salenegg ein landwirtschaftlicher Betrieb und deshalb zum
Ertragswert geschätzt. Für die steuerfreie Wohnfläche einer landwirtschaftlich genutzten
Liegenschaft ist interessanterweise die Anbaufläche des Betriebes massgebend. Auf dem
Rundgang mit den Schätzern mussten wir feststellen, dass mir mit meiner Anbaufläche
gerade einmal die Küche und der Gang zum WC als steuerfreie Wohnfläche zustünden.
Dank der grossen Erfahrung des älteren Schätzers ist es uns dann gelungen, einen
Kompromiss zu finden und den Eigenmietwert auf der Basis der Wohnfläche der
ganzjährig bewohnbaren Räume zu berechnen.
Nachdem der Schätzer seinen mutigen Entschluss gefasst hatte, meldeten sich zwei
Herren der kantonalen Steuerbehörde an. Und auch hier musste gefeilscht werden.
Für mich waren alle diese Besuche recht eigentümlich: Warum muss ich meine
Lebensweise vor fremden Herren ausbreiten. Warum muss ich ihnen alles bis zum
Badezimmer zeigen? Wer gibt ihnen das Recht zu bestimmen, was notwendig ist und was
nicht? Wenn ich ihnen erkläre, wie hoch der Unterhaltsaufwand ist, den ich in meinem,
aber offensichtlich auch im Interesse der Öffentlichkeit tätige, wenn ich mir erlaube nach
etwas Entgegenkommen und Anerkennung zu verlangen, wird mir ins Gesicht gelacht
und gesagt: «Dafür wohnen Sie ja schön!»
Sobald ich diesen Satz höre, weiss ich, dass ich nicht verstanden werde. Wie soll ich
jemandem erklären, dass die Wohnqualität in einem um 950 erbauten Haus, welches das
letzte Mal 1782 einer grundlegenden Renovation unterzogen wurde, nicht mit der
Wohnqualität eines hübschen Einfamilienhauses des 21. Jahrhunderts am Dorfrand zu
vergleichen ist.
Von allen Seiten gefordert
Art. 34 d im Baugesetzt der Stadt Maienfeld schreibt vor, dass die im Generellen
Gestaltungsplan als schützenswert bezeichneten Gebäude unterhalten werden müssen
und nicht abgebrochen oder ausgekernt werden dürfen. Als Eigentümerin weder ich also
gezwungen, Schloss Salenegg zu erhalten und bin in der Ausübung meiner
Eigentumsrechte in einer Art und Weise eingeschränkt, wie dies kaum ein anderer
Hauseigentümer je sein wird. Doch noch ist es auch mir ein Bedürfnis, Salenegg zu
erhalten. Dafür brauche ich die nötigen Mittel, und im Idealfall kann das geschützte
Objekt diese Mittel selber erwirtschaften. Dies ist die einzige langfristige und tragfähige
Strategie, die es zu verfolgen gilt. So war ich glücklich, dass es mir gelang die
Anbaufläche zu erweitern, die grössere Fläche bringt grössere Erträge, diese erfordern
jedoch grössere Verarbeitungskapazitäten. Und so begann ich vor vier Jahren mit der
Planung des Erweiterungsbaus. Vor drei Jahren konnte ich der lokalen Baubehörde die
ersten Planunterlagen und das Modell des dringend notwendigen Erweiterungsbaus von
Schloss Salenegg präsentieren.
Dass das Ausbauvorhaben heute realisiert werden kann, ist dem unvergleichlichen
Einsatz unseres Stadtpräsidenten, der vorbehaltlosen Unterstützung des kantonalen
Denkmalpflegers und zwei Anwälten zu verdanken. Nur mit ihrer Hilfe war es möglich,
eine gesetzeskonforme Lösung im Einvernehmen mit der lokalen Baubehörde zu finden,
die für das Bauvorhaben vorgängig keine Genehmigung erteilen wollte.
Es hat jedoch grossen zeitlichen und finanziellen Einsatz von allen Seiten gefordert, ganz
zu schweigen von der emotionalen Belastung! Mit einem einfachen in allen Gesetzen und
Plänen verankerten: «Alle zum Erhalt notwendigen Massnahmen haben Vorrang», wäre es
vielleicht leichter gewesen.
Erst mit einer gesetzlich verankerten Einzigartigkeit historischer Wohnbauten können
Eigentümer mit den Behörden auf Augenhöhe in einen Dialog treten. Erst mit der
Anerkennung der Einzigartigkeit durch den Gesetzgeber können kreative auf das einzelne
Objekt angepasste Lösungen gefunden werden. Erst diese Anerkennung gibt auch den
Behörden die Sicherheit, mit einer Ausnahme keine unsäglichen Präzedenzfälle zu
schaffen, die sie in der weiteren Arbeit behindern könnten.
Solange wir keine Gesetzgebung haben, die historischen Wohnbauten das Recht auf
Einzigartigkeit einräumt, bewegen wir Eigentümer uns immer in einer ungewissen
Grauzone. Wir werden nie Rechtssicherheit erlangen und uns immer dem Wohlwollen der
Behörden und Beamten ausgeliefert fühlen. Erst wenn festgestellt ist, dass es sich bei
den geschützten Bauten in allen Belangen um Unikate handelt, die auch als solche
behandelt werden müssen, wird eine für das geschützte Objekt optimal angepasste
Auslegung des Gesetzes möglich, und alle zum Erhalt notwendigen Massnahmen erlangen
Vorrang.
HvG 5.2011