< zurück

Baum der Inspiration

Gedicht über die Sahle von Salenegg




Rainer Maria Rilke, der grosse deutsche Dichter, war ebenfalls zu Gast auf Schloss Salenegg. Die sich selbst, von allen bisher unbemerkt verjüngende Saalweide, dem Wappenbaum der Familie von Salis, rührte ihn so sehr, dass er ihr ein Gedicht widmete.

Dieses Gedicht über die Sahle von Salenegg dürfte eines der letzten Gedichte sein, das er vor seinem Tod schrieb:

Einstens pflanzten sie die Wappenweide,
eine Frage an der Zukunft Heil.
Lebende und Tote, schien es beide
nahmen an des Wachstums Hoffnung teil.

Sie gedieh. Der Erde Kraft bejahte
das dem Baum verbündete Geschlecht:
Jedesmal wenn sich ein Frühling nahte
gab der Himmel seinem Antrieb recht.

Wie nicht an des Baumes überwinden,
wie nicht an des Stammes überstehn
einen Glauben, eine Hoffung binden?
Wenn wir ein Vertrautes dauern sehen,

dauern wir mit ihm; so wuchs der Baum.
aus dem immer stärkern Stammgebäude
warf er jährlich seine grüne Freude
in den freudig zugestimmten Raum.

Aber wachsen heisst auch altern. Endlich
gab die greise Baumgestalt sich auf,
und mit Sorge sah man unabwendlich
den sich still erschöpfenden Verlauf.

Des vergreisten Stammes Rinde klaffte:
Man gewahrte durch den dürren Riss
mehr und mehr die ganze unwesenhafte
saftverlassne leere Finsternis.

Unter Sturm und Überwintern immer
weiter offen stand die Höhle lang,
schliesslich zog in dieses schwarze Zimmer
obdachlos ein fremder Untergang.

Nur durch einer letzten Wurzel Leitung
(in dem Hohlraum hängend, wie verjährt)
schien des heitern Laubes Zubereitung
noch für eine kleine Zeit gewährt.

Niemand achtete der welken Fäden,
selbst des Gärtners Sorgfalt täuschten sie,
denn wir leben näher an den Schäden,
als an eines Wunders Melodie.

Dies vollzog sich dennoch. Wunderbares
atmete im Armsein des Verfalls;
heimlich stieg die Stimme jedes Jahres
innen auf und stärkte diesen Hals.

Langsam markte er sich aus zum Stamme,
und nun steht die Wandlung, die verfällt,
schützend da, wie man um eine Flamme,
welche kämpft, die hohlen Hände hält.

Envoi:
Möge nun des starken Baumes Häutung
Weiterhin für den Stammbau gültig sein:
mit dem Baum erneut sich die Bedeutung
und der heimlich wirkende Verein.

Rainer Maria Rilke, Salenegg, im August 1926



Noch heute steht die Sahlweide zwischen Brunnen und Ententeich. Inzwischen hat der Stamm wieder einen Umfang von 3,8 Metern erreicht. Für mich hat dieser Baum eine besondere Bedeutung. Nicht nur weil ein berühmter Dichter ihm ein schönes Gedicht gewidmet hat und er meinem Zuhause seinen Nahmen gab, sondern auch weil er mir täglich zeigt, dass genügend Zeit und das optimale Nutzen der Möglichkeiten jede noch so missliche Lage zum Guten wenden können. Möge die Sahle von Salenegg noch vielen Generationen in diesem Sinne Vorbild sein.

Die Weide von Salenegg (PDF)


Nach oben
Beratung