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Durch Bäume geprägt

die Sahlweide beim Brunnen im Hofe




Schloss Salenegg, das sich an aussichtsreicher, vom Städtchen Maienfeld etwas abgesetzter Lage sonnt und sich mit seiner langgezogenen, durch den malerischen Turm belebten Silhouette glücklich in die grosszügig modellierten Formen des Rebgeländes einfügt, hat seinen Gang durch die Geschichte unter einem andern Namen angetreten.

Es hiess damals Prestenegg. Der Bau von Prestenegg, wurde um das Jahr 950 durch den Prior des Kloster Pfäfers in Auftrag gegeben. Vielleicht hat der freie Blick auf die gerade gegenüber liegende Talseite von Maienfeld, die langen und vollen Sonnenschein hat und darum viel wärmer ist, die Klosterbrüder den Entschluss fassen lassen, für diejenigen von ihnen, die «Presten» (Gebrechen, wohl Gicht und Rheumatismen) hatten, eine kleine Sonnendependance zu besitzen. Eine bis zur Aufhebung des Stiftes 1838 formell existierende Dienstbarkeit verpflichtete den Herrn zu Salenegg, die Mönche von Pfäfers an einem bestimmten Tag im Jahr zehrfrei zu halten, dies weist wie auch andere Indizien auf eine enge Verbindung zwischen Salenegg und dem Pirminskloster hin.

1330 kam es dann in den Besitz der Grafen von Vaz, 1399 in denjenigen des Grafen von Werdenberg, später an die Toggenburger und 1594 wurde es von Vespasian von Salis gekauft. Damals ist das Haus in Salenegg umgetauft worden und beim Brunnen im Hofe wurde die Sahlweide, das Wappenbild der Familie von Salis gepflanzt. Seit 1654 befindet sich Schloss Salenegg im Besitz der Familie Gugelberg von Moos, die das Haus heute noch bewohnt.

Wie wir dem Bündner Montatsblatt vom September 1926 entnehmen, hat diese Weide 1890 eine aussergewöhnliche Grösse erreicht: «Ihr Stamm misst 5,40 m an Umfang und ihre langen Äste hingen über den ganzen grossen Brunnen herunter, und ihre starken Wurzeln hoben die schweren Steinplatten des Brunnenbodens.»

Ihre Zeit schien gekommen. Grosse Äste starben ab, der Stamm wurde innen faul, nach und nach hohl und bekam einen grossen Riss. Wir wissen nicht, warum der Baum nicht beseitigt wurde. Vielleicht weil er gut windgeschützt stand, konnte man ihn gefahrlos für die nächsten 20 Jahre sich selber überlassen. Weiter lesen wir im Monatsblatt: «Gerade als man den Baum ganz aufgegeben hatte, regte sich, erstaunlich genug, etwas neues Leben, zeigten sich einige ganz junge Triebe und frisches Laub in der Baumkrone, was man sich gar nicht erklären konnte. Als man der Ursache nachforschte, konnte man feststellen, dass die Baumkrone eine junge Wurzel durch das faule Innere des eigenen Stammes getrieben hatte, die kaum armsdick war, als man sie 1910 entdeckte. Das morsche Holz im Inneren des Stammes brach nach und nach heraus, die Wurzel kam an die Luft, es bildete sich eine Rinde und sie wurde selbst zum neuen Stamme, der nun die alte Baumkrone ernährt.» Der neue Stamm wuchs nun rasch im Schutze der alten Hülle und hatte 1926 bereits einen Umfang von einem Meter erreicht.



Diese ungewöhnliche Verjüngung der alten Weide wurde damals von vielen Besuchern erstaunt betrachtet. Sie inspirierte den oft in unserer Gegend weilenden Dichter Rainer Maria Rilke zu folgenden Versen, die er in das Gästebuch von Schloss Salenegg schrieb.

Einstens pflanzten sie die Wappenweide,
eine Frage an der Zukunft Heil.
Lebende und Tote, schien es beide
nahmen an des Wachstums Hoffnung teil.

Sie gedieh. Der Erde Kraft bejahte
das dem Baum verbündete Geschlecht:
Jedesmal wenn sich ein Frühling nahte
gab der Himmel seinem Antrieb recht.

Wie nicht an des Baumes überwinden,
wie nicht an des Stammes überstehn
einen Glauben, eine Hoffung binden?
Wenn wir ein Vertrautes dauern sehen,

dauern wir mit ihm; so wuchs der Baum.
aus dem immer stärkern Stammgebäude
warf er jährlich seine grüne Freude
in den freudig zugestimmten Raum.

Aber wachsen heisst auch altern. Endlich
gab die greise Baumgestalt sich auf,
und mit Sorge sah man unabwendlich
den sich still erschöpfenden Verlauf.

Des vergreisten Stammes Rinde klaffte:
Man gewahrte durch den dürren Riss
mehr und mehr die ganze unwesenhafte
saftverlassne leere Finsternis.

Unter Sturm und Überwintern immer
weiter offen stand die Höhle lang,
schliesslich zog in dieses schwarze Zimmer
obdachlos ein fremder Untergang.

Nur durch einer letzten Wurzel Leitung
(in dem Hohlraum hängend, wie verjährt)
schien des heitern Laubes Zubereitung
noch für eine kleine Zeit gewährt.

Niemand achtete der welken Fäden,
selbst des Gärtners Sorgfalt täuschten sie,
denn wir leben näher an den Schäden,
als an eines Wunders Melodie.

Dies vollzog sich dennoch. Wunderbares
atmete im Armsein des Verfalls;
heimlich stieg die Stimme jedes Jahres
innen auf und stärkte diesen Hals.

Langsam markte er sich aus zum Stamme,
und nun steht die Wandlung, die verfällt,
schützend da, wie man um eine Flamme,
welche kämpft, die hohlen Hände hält.

Envoi:
Möge nun des starken Baumes Häutung
Weiterhin für den Stammbau gültig sein:
mit dem Baum erneut sich die Bedeutung
und der heimlich wirkende Verein.

Salenegg, im August 192, Rainer Maria Rilke



Noch heute steht die Sahlweide zwischen Brunnen und Ententeich. Inzwischen hat der Stamm wieder einen Umfang von 3,8 Metern erreicht. Für mich hat dieser Baum eine besondere Bedeutung. Nicht nur weil ein berühmter Dichter ihm ein schönes Gedicht gewidmet hat und er meinem Zuhause seinen Nahmen gab, sondern auch weil er mir täglich zeigt, dass genügend Zeit und das optimale Nutzen der Möglichkeiten jede noch so missliche Lage zum Guten wenden können. Möge die Sahle von Salenegg noch vielen Generationen in diesem Sinne Vorbild sein.


Baum der Arbeit



Durch Violanda, Tochter des Vespasian von Salis, der Salenegg Namen und Weide schenkte, ging Schloss und Gut an Anton von Molina. Ritter Molina, dessen Tod die Sage mit mysteriösen Berichten umrankt hat, hinterliess keine männlichen Erben, und seine drei Töchter verkauften Salenegg 1654 für 14’000 Gulden und sechs Fuder Wein an Hans Luzi Gugelberg von Moos, Landeshauptmann im Veltlin und Stadtvogt zu Maienfeld. Er beschaffte aus Flums den aus einer mächtigen Eiche gefertigten Torkelbaum, für dessen Transport damals fünfzig Ochsen nötig waren.

Der Torkelbaum ist 14 Meter lang und der Stein als Gegengewicht wiegt 3 Tonnen. Diese Grösse war erforderlich, damit Hebel und Gegengewicht den nötigen Druck erzeugen konnten. Nach dem Befüllen des Fruchtkorbes konnten die Beeren durch das Heben des Steines mit der einer Druckkraft von maximal 39 Tonnen abgepresst werden. Damals war für das Heben und Senken des Steines an der Spindel die Kraft von vier stämmigen Männern nötig, die mit Fingerspitzengefühl, darauf achteten, dass die Kerne nicht zerquetscht wurden, was zu einem scheusslichen Bitter-Grünton im Saft geführt hätte.



Der Torkelbaum, der auch mit einer Obstmühle versehen ist, war von 1658 bis 1926 das wichtigste Arbeitsgerät im Keller. Auch er hat sehr wechselvolle Jahre erlebt. In unserer Familien Chronik «erzählt» der Torkelbaum gleich selber aus seinem wechselvollen Leben:

Anno achtzehnhundert sieben und zehn –
Mir mochte fast Hören und Sehen vergehn -
Der Hagel schlug alles auf Feldern und Rain
Zusammen, und die Scheiben in Stücke klein;
Der Rhein schwoll an, überschwemmte die Au
Und Hunger und Elend trat allweg zur Schau.

Anno achtzehnhundert zwanzig und acht,
Da hat’s unser Herrgott besser gemacht;
Er spendete Trauben in grosser Zahl
So dass man verlegen war um Lokal.

Das Schlimmste von diesen fünfziger Jahren
War 50 und eins, wo die Trauben auf Schlitten eingefahren
Denn Ende October hats eingeschneit
Und kalt ist’s geblieben gar lange Zeit.
Die Trauben im Wingert sind hart gefroren
Und der Wein im Torkel hat nicht gegohren.


Baum der Zukunft



Auf Salenegg aufgewachsen, kann ich mir ein Leben ohne Bäume, die mir ihre Geschichte erzählen, gar nicht vorstellen. Die für meine Zeit wichtigste Geschichte auf Salenegg erzählt das neue, ganz junge Bäumchen. Am 22. Dezember 2010 ist es zu diesen beiden ehrwürdigen Alten gestossen: das Richtbäumchen auf dem Dach des Torkel-Neubaus von Schloss Salenegg.

Während die Sahlweide weiter die schweren Brunnenplatten anzuheben versucht und der Torkelbaum in seiner Majestät die Erinnerung an vergangene Zeiten wach hält, ist der Richtbaum Fingerzeig in die Zukunft. Er verbindet, mit seiner Vergänglichkeit, was Sahlweide und Torkelbaum verkörpern. Die Erneuerung aus sich selbst und die Arbeit, die darin steckt. Dies sind die Anforderungen an jede Generation, die ein Erbe antritt.



Das Weingut Schloss Salenegg, das älteste Weingut Europas ist die Wiege der Weinkultur der Bündner Herrschaft. Alle Generationen haben über Jahrhunderte ihr Möglichstes beigetragen. Die Herausforderungen sind vielfältig. Waren es für meine Vorfahren noch sehr oft Kriegswirren, Frost und Schädlinge, so sind es heute in erster Linie Fragen der Wirtschaftlichkeit, die eine grosse Herausforderung darstellen. Nie zuvor haben sich innert einer Generation die Arbeitsmethoden im Rebberg und Keller und damit die Weinkultur so stark gewandelt. Als Kind erklärte man mir:«Was der Herrgott wachsen lässt, muss man wachsen lassen.» Die Temperaturkontrolle im Keller hing vom Wetter draussen ab, zu einer Spontangärung gab es keine Alternative. Erst jetzt, in meiner zweiten Lebenshälfte, haben wir die Wahl. Können wir, was für meinen Grossvater noch unmöglich war, selber entscheiden und immer genau so eingreifen zu können, wie es gerade nötig ist. Ohne die Erweiterung des Torkels wäre es uns nicht möglich, mit diesen Veränderungen Schritt zuhalten. Schritt halten ohne seine Wurzeln zu verlieren ist die grosse Kunst. Unsere Wurzeln sind im traditionellen Blauburgunder. Die Brücke in die Zukunft schlagen wir mit den Barrique Weinen und der «Etincelle» einem «blanc de blanc» aus der Chardonnay Traube, der mit der althergebrachten «Rüttelmethode» hergestellt wird. Die ersten Korken werden zur Eröffnung im August 2011 knallen.
Neben der Weinbereitung haben wir uns auf etwas spezialisiert, dessen Name alleine schon meinen Urgrossvätern einen kalten Schauer den Rücken runter jagte: dem «Delikat Essig». Diese Manufaktur habe ich nach mehrjährigen Experimenten im Jahr 2002 gegründet. Soweit konnte es ebenfalls nur dank des Fortschrittes in der Messtechnik, den neuen Erkenntnissen über die nötigen Bakterien und der damit verbundenen Steuerung von Gärprozessen kommen. Mittlerweile produzieren wir 12 Delikat Essige höchster Qualität, die sich immer grösserer Beliebtheit erfreuen.

In Zukunft wird sich jeder Besucher von Schloss Salenegg auf eine wahre Zeitreise begeben, wenn er durch den Torbogen, um 950 erbaut, in den Hof kommt und das Haupthaus betrachtet. Dieses hat Ulysses Gugelberg von Moos zwischen 1782 und 1784 umfassend erneuert um die aus verschiedenen Bauetappen stammenden Teile zu einer einheitlichen Anlage zu formen. Commissarius Ulysses war bei diesem Umbau nicht etwa nur Auftraggeber, nein, ein Zeitgenosse bestätigt, «dass weder deutsche noch italienische Architekten, sondern das erfinderische Genie des Eigentümers den Plan zu diesem Gebäude entworfen hat.» Dem Vorbild meines Urahns folgend trage ich alleine heute die Verantwortung für den Neubau. Der Dank der tatkräftigen Unterstützung der heimischen Unternehmer so gut gelungen ist. Diesen erreichen wir auf unserem Weg vorbei an der Sahlweide in den alten Torkel. Neben dem Torkelbaum von 1658 steigen wir in den neuen Fasskeller hinab. Elf Meter tief im Erdreich werden schon bald die aktuellen Jahrgänge des Saleneggers ruhen. Aus den Tiefen des Kellers steigen wir etwas später hinauf zum Degustationsgeschoss (14 m über der Erde) und geniessen, ein Glas Salenegger in der Hand, den freien Blick auf die Herrschaft – erblicken in der Ferne Schloss Sargans – und weitere Geschichten warten bereits... .

Helene v. Gugelberg

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